Gemeinsamer Appell von Katja Dörner, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Annalena Baerbock, MdB und Parteivorsitzende sowie den Landesfamilien- und Landesjugendminister*innen der Grünen, Kai Klose (Hessen), Manne Lucha (Baden-Württemberg), Ursula Nonnemacher (Brandenburg), Anne Spiegel (Rheinland-Pfalz) und Anja Stahmann (Bremen). Die Zeit ist mehr als reif, die Kinderrechte mit einer starken Formulierung ins Grundgesetz aufzunehmen. Nun hat die Bundesjustizministerin leider einen schwachen Entwurf vorgelegt, der keine grundlegende Verbesserung der Situation von Kindern in unserem Land erwarten lässt. Das ist mehr als bedauerlich, denn unsere Verfassung ist nicht irgendein Gesetz. Wenn wir uns daran machen, unser Grundgesetz zu ändern, dann muss diese Änderung auch die größtmögliche Wirkung entfalten und diese Wirkung ist nur mit einer starken Formulierung zu haben. Der Vorschlag der Ministerin ist jedoch ein Rückschritt und bleibt sogar hinter der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück. Das hilft keinem Kind und sollte nicht die Grundlage für eine Verfassungsänderung sein.
Manne Lucha für starke Kinderrechte im Grundgesetz Dreißig Jahre sind seit der historischen Verabschiedung der Kinderrechtskonvention, welche die Menschenrechte für die spezielle Situation von Kindern definiert, durch die Vereinten Nationen vergangen. Deutschland hat sich, wie die allermeisten Staaten der Welt, zu deren Umsetzung verpflichtet. Doch von einer kindergerechten Gesellschaft sind wir leider noch ein großes Stück entfernt. Eine Verankerung der Kinderrechte in unserer Verfassung sollte bedeuten: Verwaltung, Gerichte und Parlamente müssen die fundamentalen Rechte von Kindern stärker berücksichtigen: Die Kinderrechte konsequent zu berücksichtigen hieße auch, die hohe Kinderarmut in Deutschland zu überwinden, für gleiche und gerechte Startchancen im Bildungssystem zu sorgen, eine gute Gesundheitsversorgung für alle Kinder zu erreichen, Kinder in familiengerichtlichen Verfahren immer anzuhören und sich noch stärker gegen Kindesmissbrauch zu engagieren.
Darum brauchen wir die Aufnahme der grundlegenden Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention in unsere Verfassung. In einer kurzen, knappen und vor allem starken Formulierung müssen wir Kindern das Recht auf Schutz, Förderung und Beteiligung sowie die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls endlich auch im Grundgesetz garantieren. Wir sollten damit den Staat auf allen Ebenen dazu verpflichten, überall konsequent gegen Missbrauch und sexuelle Gewalt an Kindern vorzugehen. Mit der Verankerung des Kindesrechts auf Förderung der eigenen Entwicklung müssten alle, die in diesem Land politische Verantwortung tragen, ein kinderfreundliches Lebensumfeld schaffen, in dem jedes Kind durch gute Bildung seine individuellen Stärken entwickeln und zu nutzen lernen kann. Zentral ist das Recht auf Beteiligung von Kindern an allen Fragen und Entscheidungen, die sie betreffen. Ihre Meinung muss auch etwas zählen. Das heißt keineswegs, dass der Wille des Kindes immer und überall letztendlich ausschlaggebend ist, aber ohne die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist eine kindergerechte und kinderfreundliche Gesellschaft nicht zu machen. Gerade die Beteiligung und das Erfahren von Selbstwirksamkeit sind Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben in unserer Gesellschaft. Wenn Kinder in der Kita, in der Schule und in ihrer Kommune beteiligt werden, sind diese Erfahrungen eines der besten Mittel für das Engagement in einer vielfältigen, demokratischen Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Positionen und Meinungen.
Für staatliche Stellen, egal auf welcher Ebene, würde es mit der Aufnahme von starken Kinderrechten in unsere Verfassung endlich zur Selbstverständlichkeit, das Wohl von Kindern bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen. Damit würden wir die Situation von Kindern auch ganz praktisch entscheidend verbessern.
Dem allen wird die Bundesjustizministerin nicht gerecht. Sie legt einen schwachen Entwurf vor, der weder ausreichende Beteiligungsrechte vorsieht, noch garantiert, dass das Kindeswohl immer mit Priorität berücksichtigt wird und nicht als eines von vielen Entscheidungskriterien. Die vorliegende Formulierung ist damit ein deutlicher Rückschritt hinter die Regelungen im Vertragswerk der Vereinten Nationen, zu denen Deutschland sich verpflichtet hat. Zum 30. Geburtstag der UN-Kinderrechtskonvention einen solchen Vorschlag zu machen, ist mehr als eine verpasste Chance. Es ist ein Kotau vor denjenigen, die immer noch Widerstand gegen eine umfassende Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz leisten. So wird argumentiert, die Elternrechte würden durch die Stärkung der Kinderrechte beschnitten. Dabei wird doch gerade andersrum ein Schuh draus: Eltern könnten die Interessen ihrer Kinder gegenüber dem Staat viel leichter durchsetzen.
Die Koalition muss dringend nachbessern und eine Formulierung auf den Tisch legen, die einen echten Mehrwert für Kinder erreicht. Alle demokratischen politischen Kräfte, egal ob in den Ländern oder im Bund, sollten dreißig Jahre nach der Anerkennung der Kinderrechte durch die Vereinten Nationen die historische Chance nutzen, Kinder, die in Deutschland leben, endlich so stark zu machen, wie sie sein können. Denn starke Kinder brauchen starke Kinderrechte im Grundgesetz.